News Juli 2018

Symbiose

 

Von Menschen, die symbiotisch sind, höre ich oft folgende Sätze:

-Ich bin schon lange nicht mehr ich selbst.

-Ich kann mich nicht fühlen.

-Ich verliere mich in den Beziehungen zu anderen Menschen.

-Wer bin ich eigentlich?

-Ich kann mich nur schwer abgrenzen.

-Kümmere mich immer um Andere.

-Ich habe körperliche Beschwerden

-Ich fühle andere immer mehr als mich selbst.

-Ich sehne mich danach, ich selbst sein zu können.

-Ich leide unter der schlechten Verfassung meiner Mitmenschen.

-Ich fühle mich schwer, müde, handlungsunfähig und belastet, kann nicht aufhören zu weinen, bin nervös, schnell wütend, kann nicht schlafen, kann mich nicht entspannen …

-Ich brauche Drogen oder Medikamente, um mich gut fühlen zu können.

 

    In einer Symbiose verbinden wir uns mit dem unverarbeiteten Schicksal unserer Eltern, Großeltern oder einer anderen nahestehenden Person. Wir identifizieren uns mit ungelösten Gefühlen, erleben dann das ‚Fremde‘ (fremde Gefühle) als unser ‚Eigenes‘. Das ‚Fremde‘ nimmt den Platz unserer eigenen Gefühle ein, es überlagert sie ganz oder teilweise. Als Reaktion darauf, werden wir, je nach Temperament: schwer, handlungsunfähig, unsicher, unruhig, gereizt oder wütend. Unverarbeitete Gefühle, wie Trauer, seelischer Schmerz, Angst, Schock, Sog ins Jenseits, Schamgefühle, Schrecken oder Entsetzen (auch ein Gemisch aus diesen Gefühlen), können hier eine Rolle spielen. Diese Gefühle wurden von unseren Vorfahren nicht verarbeitet, sondern verdrängt, abgespalten oder tabuisiert. Menschen, die symbiotisch sind, verbinden sich meist unbewusst mit diesen Gefühlen und nehmen sie in sich auf. 

    Was ist was? – Gefühle unterscheiden lernen:

     

    Solange nicht erkannt und gefühlt werden kann, was das ‚Eigene‘ und was das ‚Fremde‘ ist, kann der Mensch keine Erleichterung und Heilung finden. Wenn das ‚Fremde‘ erkannt und abgelöst wurde, kann derjenige wieder zu sich selbst werden, frei und selbstbestimmt leben.

     

    Was tun?

    Menschen, die symbiotisch sind oder es ständig werden, können folgendes tun:

    1. Erkenne/spüre, mit wem du seelisch verbunden bist

    2. Löse dich von dem fremden Schicksal (dafür habe ich tief gehende Rituale entwickelt)

    3. Werde du selbst

    4. Lerne, dich abzugrenzen

    Da Kinder sich nicht auf diese Weise helfen können, weil ihre Persönlichkeit noch nicht entsprechend entwickelt ist, ist es hier wichtig, heraus zu bekommen, mit welchem Elternteil das Kind symbiotisch ist . Dieser kann dann an seinem Trauma, Schmerz usw. oder an seinem eigenen symbiotischen Verhalten arbeiten, um das Kind zu entlasten. (Auf diese Weise habe ich inzwischen mit einigen Eltern gearbeitet und die Kinder wurden ruhiger, konzentrierter, gesünder und wieder mehr sie selbst.) 

    Von Natur aus miteinander verbunden …

    Das Wort ‚Symbiose‘ bedeutet: zusammen leben. Das hört sich ganz harmlos an. In unserem Alltag können wir ‚zusammen leben‘, ohne uns mit dem Schicksal anderer Menschen zu belasten. Das würden wir im psychologischen Sinne jedoch nicht als Symbiose bezeichnen. Das Zusammen-Leben ist auch nicht die Voraussetzung für eine Symbiose. Ich habe schon mit Menschen gearbeitet, die einen Elternteil in jungen Jahren verloren haben und trotzdem seelisch mit dessen Schicksal verwoben und dadurch beschwert waren, einfach weil sie dem Elternteil nah sein wollten. 

    Ich würde sagen, dass die Ursache von belastenden Symbiosen in unserer eigenen Natur liegt. Wir Menschen haben tief in uns eine natürliche Verbundenheit miteinander. In unserer Familie ist diese besonders stark ausgeprägt, jedoch zieht sich diese Verbundenheit in Wirklichkeit über die ganze Menschheit hinweg. Miteinander verbunden zu sein, ist unserer natürlicher Zustand. Erst unsere Persönlichkeit sorgt dafür, dass wir uns als getrennt von den anderen Menschen wahrnehmen und erleben. Unsere Persönlichkeit identifiziert sich, sie ist jemand, sie hat Überzeugungen, eine Geschichte, Erfahrungen, Vorlieben, Abneigungen, Prägungen, Überlebensstrategien, Schutzmechanismen, Absichten, Motivationen, Abspaltungen und Bewertungen. Das macht uns zu einer konditionierten gefestigten Persönlichkeit. 

    Um jedoch frei, gesund und selbstbestimmt sein zu können, braucht unsere Persönlichkeit oft einen Wandlungsprozess, der ihr hilft, in ihre natürliche Form zu kommen. Hier werden Symbiosen gelöst, alte Gefühle und Traumata geheilt, Überzeugungen in Frage gestellt und sich auf die Suche nach dem ganz ‚Eigenen‘ gemacht.

    Warum werden manche Menschen (Kinder) symbiotisch und sind belastet und andere nicht?

    Wer mehrere Kinder hat, der weiß aus eigener Erfahrung, dass jedes Kind anders ist. Das eine hat ein großes Herz und spürt alles, das andere ist sehr sensibel und spürt noch mehr und dann gibt es da eins, das ist so bei sich, dass die Gefühle anderer oder die Atmosphäre keinen großen Einfluss zu haben scheinen. Das sind die bodenständigen Kinder, die, mit der guten Verbindung zum Physischen. Für sie ist essen, schlafen und Körperkontakt sehr wichtig.

    Wenn wir durch symbiotisches Verhalten belastet sind, dann bringen wir meist entsprechende Neigungen mit, die dies begünstigen:

    • Liebende Menschen wollen mit allem um sich herum gut fürsorglich und liebend verbunden sein. Sie erleben sich und ihre Umwelt aus dem Herzen, aus den Gefühlen heraus. 

    • Sehr sensible Menschen erleben sich und ihre Umwelt aus ihrer Sensibilität und aus einer feinen Wahrnehmung heraus. Sie haben eine gute Verbindung zu den feinen geistigen Bereichen, die nicht nur Gefühle, sondern auch feinste Schwingungen und Informationen selbstverständlich mit einbeziehen. 

    • Bodenständige Menschen erleben sich und ihre Umwelt vor allem aus der körperlich-handelnden Perspektive heraus und sind dadurch am wenigsten anfällig für Symbiosen. 

    Für Menschen, die symbiotisch sind, ist es wichtig, abgegrenzter zu sein: 

    • Im körperlichen Bereich ist es am klarsten, denn dieser Bereich ist von Natur aus getrennt. 

    • Im emotionalen Bereich ist es das Sich-Automatisch-Verbinden (vor allem mit Leidvollem), das Helfen-Wollen und das Entlasten-Wollen, was genau unter die Lupe genommen werden muss. 

    • Und im sensitivem Bereich ist das Ankommen im physischen Körper sehr hilfreich und das verstärkte wahrnehmen des ‚Eigenen‘ notwendig, um besser abgegrenzt sein zu können.

    Wir Menschen existieren natürlich in all diesen Bereichen. Wir sind geistig, seelisch und körperliche Wesen. Jeder Mensch fühlt sich jedoch zu ein bis zwei Bereichen besonders stark hingezogen, hält sich dort mehr auf. Das, was wir da bevorzugen, scheinen wir Menschen als Prägung bereits mitzubringen. Bei Kindern kann ich das oft ganz deutlich wahrnehmen. 

    Voraussetzung ist, es gibt etwas Belastendes in der Familie …

    In Familien, in denen negative Gefühle und Traumatisierungen abgespalten, verdrängt, nicht verarbeitet und tabuisiert werden, können diese von den nachfolgenden Generationen mitgetragen werden. Abzuspalten und zu verdrängen ist für viele Menschen jedoch absolut lebensrettend und trägt zur Stabilisierung des Menschen bei. Schicksale müssen nicht verarbeitet werden. Viele traumatisierten Menschen tragen ihr schweres Schicksal mit viel Kraft und Lebenswille bis ins hohe Alter. Für die Nachkommen ist nur wichtig zu wissen: egal, was in meiner Familie passiert ist, ich bin in erster Linie dafür verantwortlich, ob mich schweres Schicksal aus der Familie belastet oder nicht.

     

    Wir wollen von Natur aus Verbundenheit und suchen diese von Anfang an natürlich bei unseren Eltern. Fälschlicherweise identifizieren wir uns dann oft mehr mit dem, was nicht zu uns gehört, anstatt mit uns selbst. Das von mir entwickelte systemische Atom( Beziehungsgeflecht sichtbar dargestellt) zeigt auf ob ich mit mir verbunden bin oder fremdes in mir wirkt, durch das Erkennen der Verstrickung, über die Identifikation des ‚Fremden‘ (das, was ich da fühle, bin ich nicht), hin zur Identifikation mit dem ‚Eigenen‘, können wir wieder in ein kraftvolles, freies, gesundes und selbstbestimmtes Leben kommen.

     

    Eure Brigitte

    News Mai 2018

    Fehlendes „ ICH“

    Wenn Menschen mit Besonderheitsansprüchen nicht bekommen, was sie wollen und das ist oft nicht weniger als uneingeschränkte Aufmerksamkeit, dann werden sie, wenn sie ihre Ansprüche offen formulieren wütend und wenn sie sich das nicht trauen, krank und hilflos, in einer Weise, die oft in Richtung emotionaler Erpressung geht. Das ist nicht gespielt, in dem Sinne, dass man das mit Vorsatz macht, sondern eine Reaktion der Not, Ohnmacht und auch der Unwissenheit. Die Gefühle der Panik oder Ohnmacht sind schon echt, wenn auch nicht ganz klar ist, worum es gehen soll. Oft in Richtung: „Sei einfach für mich da, lass‘ mich nicht im Stich und nicht alleine.“ Das ist natürlich oft eine Forderung von Menschen, die sehr genau wissen, wie es ist, in wichtigen Situationen, wenn man Hilfe und Beistand bräuchte oder gebraucht hätte alleine gelassen zu werden.

    Zwar müssen wir die meisten Situationen so oder so alleine durchstehen, aber die Frage ist, wie unser jeweiliger emotionaler Hintergrund aussieht. Haben wir vermittelt bekommen, dass wir um unser selbst willen geliebt werden und nicht für unsere Leistungen, dass es immer jemanden gibt, zu dem dem wir zurück kehren können, dann überstehen wie auch Abnabelungen gut und haben hinreichendes Selbstvertrauen, aber es gibt Menschen, die all das nie erfahren durften und um die sich schon als Kind niemand gekümmert hat.

    Dass diese Menschen nun irgendwann und endlich erfahren und erzwingen wollen, was als Kind angemessen gewesen wäre, ist so rührend, wie verständlich und doch in der Zeit verrutscht. Anklammern ist nun die falsche Strategie, auch wenn es im Leben von Menschen mit Ich-Schwäche Phasen gibt, in denen sie sich nicht vorstellen können, nicht einmal vorstellen, dass sie je etwas alleine hinbekommen können.

    Die offensiv Ich-Schwachen sind vollkommen entrüstet, wenn man ihnen nicht den gebührenden Respekt entgegen bringt. Es kommt auf die Situation an, ob sie das schwer verunsichert oder sie das einfach in gewohnter Weise dadurch lösen, dass der andere nun unten durch ist.

    Eine letzte und bekannte Form der mangelnden Impulskontrolle liegt vor, wenn Menschen schnell an die Decke gehen und immer wieder zu Wutausbrüchen oder hoch dramatischen Szenen neigen. Auch hier finden wir ein Ich, was sich schnell bedroht, missverstanden und angegriffen fühlt.

    Angst vor Verantwortung

    Menschen mit Ich-Schwäche haben in aller Regel große Probleme mit ihrem Alltag. Einfache Aufgaben, die für die meisten Menschen normal und nicht mal der Rede wert sind, bedeuten für sie immensen Stress. Das intensiviert sich in aller Regel noch einmal, wenn sie darum gebeten werden, etwas für andere zu tun. Das nicht, weil sie egozentrisch wären – was sie oft, aus der Not heraus, tatsächlich sind – sondern, weil die Verantwortung, die sie für andere übernehmen, sie fast zerreißt. Manchmal kaum in der Lage für sich selbst zu sorgen, wird nun erwartet, dies auch noch für andere zu tun und das ist mit riesigen Angstphantasien darüber besetzt, was passiert, wenn etwas schief geht. Nie wird der andere anerkennen können, dass man sich, im Falle eines Versagens, bemüht hat, immer wäre er in der Phantasie maßlos enttäuscht und könnte nie wieder verzeihen, was eine projektive Identifikation ist, es ist die eigene Aggression, die man hier zu erkennen glaubt, freilich ohne sie bei sich zu erkennen. Natürlich möchte man eine solche Kleinigkeit nach Möglichkeit auch nicht ausschlagen, denn auch das müsste unvermittelt Wut bis zum Kontaktabbruch nach sich ziehen, aus eben erwähnten Gründen. Also gibt es in der Praxis oft ein fürchterlich konfuses Gemurkse auf hohem Stresslevel.

    Anders geht der grandios ich-schwache Mensch mit dem Thema um. Irgendwo zwischen Versagensangst und Übermut, zwischen „merkt hoffentlich keiner“ und „merkt schon keiner“. Oft ist ein ich-schwacher Mensch hier aber von immensem Ehrgeiz getrieben und kann auf seinem Gebiet gut sein, wenn auch die Tendenz zur Selbstüberschätzung gegeben ist. Verantwortung wird hier oft nicht ernsthaft übernommen, weil der einzige Mensch, der wirklich interessiert oft der Betreffende selbst ist und solange nichts auffliegt, falls man Verantwortung für andere hat, lässt man schon mal Fünfe gerade sein. Ein Hang zur Korrumpierbarkeit, bei dem sich für andere eher dann interessiert, wenn es eigenen Interessen nutzt, in dem Perfektion einfordert, aber nicht bietet.

    Zermürbende Schuld- und Schamgefühle

    Der Grund für die emotionalen Turbulenzen, die Bitten anderer oft auslösen, sind neben der Angst vor Verantwortung oder mit dieser gemischt, massive Gefühle der Scham oder Schuld. Zum einen das Schamgefühl versagen zu können oder versagt zu haben, was so intensiv empfunden wird, dass man das Gefühl hat das Gepött der Menschheit zu sein und sich nie wieder irgendwo blicken lassen zu können, ohne, dass andere sich den Mund zerreißen.

    Wenn es nicht mehr so sehr um den eigenen Gesichtsverlust geht, kann das quälende Gefühl aufkommen vollkommen versagt und damit eine nie wieder gut zu machende Schuld auf sich geladen zu haben. Dass andere einem verzeihen könnten, ist kaum vorgesehen, wieder aus Gründen der projektiven Identifikation, man selbst kann es auch nicht und da man sich höchstens vorstellen kann, dass jemand so tut als würde er verzeihen, weil das erwartet wird, ohne, dass er tatsächlich ein vergebendes Gefühl hat, kann man nicht empathisch sein mit dem Gefühl echten Verzeihens. Man kann sich nicht vorstellen, was man nicht kennt.

    Der grandiose Mensch mit Ich-Schwäche hat auch Angst vor der maßlosen Wut des anderen (die er ihm unterstellt) und bagatellisiert das Geschehene daher oftmals. Ist doch nichts passiert und wenn, soll der andere sich nicht so anstellen, es gibt schließlich Schlimmeres. Solange ich den anderen klein halte, kann er mir nicht gefährlich werden und so kommt es zu der merkwürdigen Tendenz ihm die eigentliche Schuld für das eigene Versagen zu geben, ein gar nicht so unbekanntes Gesellschaftsspiel.

    Eure Brigitte

     

    News April 2018

    Innere Freiheit:

     

    Der Schlüssel zur inneren Freiheit liegt bei uns selbst. Wenn wir selbst uns dazu berechtigt fühlen, wird innere Freiheit geschehen und die Leichtigkeit u Lebensfreude geboren.

     

    Wahrnehmungsfilter

     

    Wir schauen und empfinden also durch die Brille der ersten Erfahrung. Jeder nachfolgende Mensch wird durch die in der Erstbegegnung erworbene Erkenntnisbrille angeschaut. Nach der prägenden Kindheit besitzen wir dann einen ganzen Koffer solcher Brillen – und die sind fest in uns installiert. Damit ist eine freie Sicht auf uns, den anderen, die Welt nicht mehr möglich. Durch die jeweilige Brille einer bestimmten Erfahrung schauend erleben wir nun zum einen, dass wir eine bestimmte Person sind; die Summe und Verschiedenartigkeit der Schattierungen unserer Brillen macht dabei das individuelle Persönlichkeitsempfinden aus. Zum andern erleben wir in diesem Person- Sein, dass wir Opfer dessen sind, was wir durch unsere Brillen sehen,  und schon müssen wir Angst, Wut, Schmerz, Verzweiflung aushalten und fühlen uns darin festgesetzt.

    Wie sich nun daraus befreien? Akzeptanz ist ein Schlüssel. Wenn ganz erkannt und akzeptiert wird, auf welche Weise sich das eigene Person-Sein gestaltet, dann fällt das Fühlen und Denken eines urteilenden Jemand in sich zusammen, dieses klare Bewusstsein stellt sich in aller Regel schrittweise ein – entsprechend der bereits abgelegten bzw. der noch vorhandenen Brillen. 

    Echtes Menschsein – wertungsfreies, offenes, ewiges Präsent-Sein in Kombination mit der Körperlichkeit – spaziert durch die manifestierte Welt und begegnet immer wieder sich selbst in den verschiedensten Formen und Farben. Und wie durch Zauberhand stellt sich ein großes Staunen ein, das gleichzeitig ein unbekümmertes Fließen der Liebe ist. Das ist die Freiheit, nach der sich jeder Mensch tief im Inneren sehnt. Bewusst oder unbewusst sind wir alle auf dem Weg dorthin, wie groß der „Umweg“, auf dem wir uns augenblicklich befinden, auch sein mag. Wer sich aufmacht, die installierten Filter – jene das Licht klaren Bewusstseins verschattenden Brillen – durchlässiger werden zu lassen, wird ein angenehmeres freudvolles Leben erfahren.

    Dann erfährt er zwar immer noch ein Gefangensein, jedoch mit helleren Wänden.  Das rastlose „Ich muss dies, ich muss das, um da sein zu können!“ raubt uns den freien Atem. Die wahre Natur ist dem Dürfen zugewandt: dem selbstverständlichen Da-sein-Dürfen ohne jegliche Bedingung

     Wirkliches Freisein ist das größte Abenteuer überhaupt. Und geeignete Begleiter und Instrumente auf dieser Abenteuerreise gibt es viele. Der Maßstab dafür, wer und was sich eignet, bemisst sich allein am Vorankommen des Reisenden.

     

    Selbstliebe

     Das Gefangensein besitzt viele Anker, die gelichtet werden wollen, bevor sich die Freiheit dauerhaft in uns einrichtet. Und so manche Brille sitzt enorm fest. Wie zäh sich beispielsweise die Ablösung von einer zentralen Figur aus unserer frühen Kindheit gestalten kann, pointiert auf schöne Weise der gern zitierte Satz „Mein Mann war solange erleuchtet, bis er seine Mutter wiedertraf!“. Sie teilt ihren Körper mit uns, wir erhalten das Geschenk des Lebens durch sie, aber auch ihr Geprägtsein geht schon früh auf uns über. Wer sein eigenes Gefängnis verlassen will, wird in der Regel am Schauen auf diese Zeit nicht vorbeikommen.

    Eine lösende Arbeit wie das Aufstellen kann Anker sichten und lichten, ist gutes Handwerk . Es lässt uns Prägungsinhalte sehen und verstehen. Im klaren Schauen unserer inneren Kinder – unseres frühen Seins in den unterschiedlichen Entwicklungsphasen – sind wir uns nah und Selbstliebe geschieht: ein großes Tor zur ersehnten Freiheit. Eine besondere Hürde auf dem lösenden Weg liegt darin, dass wir uns in unserem Gefängnis bestens auskennen. Es drückt uns, und doch wollen wir es auch behalten.

    Daraus entstehen Ambivalenzen, wie sie sich zum Beispiel in dem sprichwörtlichen „Wasch mich, aber mach mich nicht nass!“ oder in „Ich hasse dich, verlass mich nicht!“ ausdrückt. Sehne ich mich zum Beispiel nach Nähe, kreiere mir jedoch tatsächlich ein einsames Dasein, so steht diesem aktuellen Ersehnen in der Regel eine alte Erfahrung im Sinne von „Nähe ist gefährlich, tut weh!“ entgegen. Mit dem Alleinsein kenne ich mich aus, das hat mich geschützt: Ich will behalten, was ich damals adäquat zur prägenden Situation ausgebildet habe, obwohl sich das Sehnen tatsächlich auf das gegenwärtige Leben bezieht und ich mir darin Erfüllung wünsche. Die uns gefangen setzenden Fühl-, Denk- und Handlungsmuster – unsere Konzepte – sind das, was uns irgendwie zurechtkommen ließ nach der meist harten Landung auf dieser Erde.

    Es kann sich wie ein echtes Opfer anfühlen, den vertrauten Holzweg zu verlassen. Es gibt sicher keine Enttäuschung, wenn das Freisein erfahren wird, aber in der Regel nähern wir uns ihm mit bangem Herzen. Einen Begleiter an seiner Seite zu haben, der den Weg schon gegangen ist, kann helfen, die Persönlichkeitsstruktur der Lockerung und schließlich der Auflösung zuzuführen. Die persönliche Struktur ist nichts anderes als das Streben, dem Verletztwerden, das wir damals kaum verkraften konnten, nicht noch einmal zu begegnen.

    Jedoch begünstigt die in uns ausgebildete Struktur das Wiederholen genau dieses Sich-hilflos-Fühlens: Sie braucht die gefühlte Hilflosigkeit, um die erneute Anwendung des Abhilfe schaffenden Programms zu rechtfertigen und sich selbst zu erhalten. Wir bleiben in unserem Identifiziertsein mit ihr gefangen.

     

    Freisein ist immer da

     

    Die sichere Ahnung, dass wir diese freie Energie sind, aus der wir selbst und alles andere hervorgehen, schenkt uns die Kraft, den freien Zugang zum Wahrnehmen und Empfinden dieser Wahrheit in uns auszugraben. Niemals ging das Freisein in uns wirklich verloren – es scheint nur so aufgrund der Summe der frühen Erlebnisse aus unserer Kindheit.

    Es ist wunderbar, den alten Boden unter den Füßen zu verlieren – scheinbar schweben wir im von den alten Vorgaben leergefegten Lebensraum –, um uns danach im freien Raum klaren Bewusstseins niederzulassen. Ich Mensch bin nichts anderes als das eine klare Bewusstsein, welches in einen Wahrnehmungsapparat gebettet ist. Und aufgrund meines frühen Erlebens erwerbe ich Wahrnehmungsfilter und werde zu einem Erfahrungsraum, der blinde Fenster besitzt. In der Wahrnehmungsstruktur versuche ich nun, für mehr Klarsicht zu sorgen, was aber unmöglich ist: Die Wahrnehmungsstruktur selbst ist täuschend und letztlich der eigentliche Missstand. Im schrittweisen Sichtbar- und Begreifbarmachen ihres Beschaffenseins lockert sich die Struktur. Und was in der Täuschung gefangen ist, kehrt nach und nach in das klare Wahrnehmen und Empfinden zurück. Die installierten Wahrnehmungsfilter lösen sich auf. Und schließlich sind meine Augen wieder klar und frei – und kann das Leben führen, was mir gefällt.

     

    Eure Brigitte